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Als meine Mutter von Aliens entführt wurde

... hatte ich Hunger

Es ist der 2. Corona-Lockdown im Jahre 2020.

 

Ob man in 20 Jahren noch weiß, was Corona ist? Ich hoffe nicht. Dass die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen nun Schuld an den Geschehnissen der nachfolgenden Geschichte sind, wage ich zu beweifeln. (Bestandteil der Story sind sie ebenfalls nicht). Aber der Vollständigkeit halber ist dies zu erwähnen.

Dass Kinder schwierige und manchmal auch noch schwierigere Phasen haben, ist keine neue Erkenntnis. Doch! Vielleicht für mich ein wenig. Es gab tatsächlich Zeiten in meinem Leben, in denen ich glaubte, dass es keine schwierigen Kinder gäbe. Nur Eltern, die ihren Job nicht richtig machen und aus diversen Gründen in ihrer Rolle als kompetente und liebevolle Erzieher versagen. Das Resultat dieser Loser-Eltern: nervige, schreiende und ungehorsame Ätzkinder, die ihre Umwelt mit ihren andauernden Wutanfällen und überschäumender Nervigkeit ohne Unterlass penetrieren.

Ja, ich muss zugeben: ich war eine von den jungen Frauen, die glaubte es besser zu wissen. Und zu können. Immer. Denn schließlich kann ich alles, wenn ich es nur wirklich will. Das war meine feste Überzeugung.

 

Und dann wurde ich Mutter...

 

Mit Mutter-Werden ist übrigens nicht der einfache biologische Vorgang von Befruchtung, Embryogenese, Schwangerschaft und Entbindung gemeint. Sondern vielmehr die damit beginnende und darüberhinaus andauernde Entwicklung der Persönlichkeit. Meine persönliche Entwicklung begann bereits in der Schwangerschaft.

Ich nenne es eine Phase der Ernüchterung. Meine Erwartungen an diese magischen 9 Monate waren so enorm, dass ich nur enttäuscht werden konnte. Ich sage nicht, dass es allen so ergehen muss, wie mir, aber ich fand es ätzend schwanger zu sein. Ich verspürte leider keine Magie und nein, mir schien auch nicht die Sonne aus meinem Zweit-Trimester-Allerwertesten. Ich war einfach nur froh, als endlich die Wehen einsetzten und die Zeit, in der ich meinen Körper mit einem invasiven Alien teilen musste, in absehbarer Zeit enden würde.

Rückblickend muss ich feststellen, dass ich schon vor der Geburt meiner Tochter begann, eine dieser oben genannten Loser-Mutter zu werden. Denn ich war nicht in der Lage meine Schwangerschaft zu genießen. Ich war keine Bilderbuch-Vorzeigemama.

Das sollte sich in den nächsten Jahren auch so fortsetzen.

 

Schwanger-Sein war für mich eine lange Zeit des Wartens, Unwohl-Sein und Unnütz-Fühlen. Entsprechend froh war ich um jede Wehe, die mich näher an mein Ziel brachte.

Nach der Ernüchterung folgte eine kurze Phase der Glückseligkeit voller "OOOOHHH's" und "Ist die süüüüüüß". Eine ganz kurze Phase. Darauf folgten Monate voller schlafloser Nächte und stundenlang anhaltendem Gebrüll. 8 Stunden war unser Highscore. Schlaf gab es nur in wippend-sitzender Haltung mit Baby auf dem Arm. Diese Zeit zeigte mir ganz eindrücklich, warum Schlafentzug eine sehr effektive Foltermethode ist. Und ich musste eine Seite an mir entdecken, die mich heute noch ängstigt. In einer dieser ganz besonders schlimmen Nächten wollte meine Tochter einfach nicht aufhören zu schreien. Es war wirklich, wirklich schlimm und ich vollkommen am Ende. In diesem Augenblick hatte ich ein schreckliches Verlangen sie zu schütteln, irgendetwas zu tun, nur damit sie einfach nur aufhört. Ich fuhr in der Nacht zu meiner Mutter und suchte Hilfe. Ich bin unendlich froh jederzeit Unterstützung von meiner Familie zu bekommen! Seit dem verurteile ich verzweifelte Frauen nicht mehr. Früher hätte ich sie nicht verstanden. Jetzt ist ein Teil von mir eine von ihnen.

 

Kinder haben immer schwierige und mal schwierigere Phasen. Jetzt ist es wieder Zeit für eine besonders schwierige Phase. Meine Tochter ist 6, mittlerweile ein Schulkind. Doch anders als andere in ihrem Alter, ist die Schule für sie eine Last. Daher kommt das Pandemie-bedingte Homeschooling ihr durchaus entgegen. Zuhause lernt sie lieber und erledigt ihre Aufgaben besser. Aber nur so lange sie es nicht unter Mamas Aufsicht machen muss. Da blockiert sie und zeigt ihren extrem starken Willen. Ich versuche mich dann immer zu trösten, in dem ich mir sage, dass ihr starker Wille und ihre Persönlichkeit ihr in ihrem weiteren Leben sicher weiterhelfen werden. Doch aktuell treibt sie mich damit nur zur Weißglut. Es gibt aber auch eizigartige gute Momente, die sie dadurch kreiert:

 

Ich frage sie: "Wer ist eigentlich Gott?", sie antwortet: "Boah! google doch selber!"

Wiederum andere Momente kann ich nur der Kategorie "Kuriositäten" zuordnen:

Ein großer Streitpunkt ist momentan das Abendessen. Meine Kinder nehmen grundsätzlich nicht am Abendessen teil. Sie haben ständig etwas besseres zu tun: Raptoren trainieren, Waldbrände im Hausflur löschen, mit einem Flugzeug nach Jurassic World fliegen oder zu Avici vollkommen durchdrehen und wild herumtanzen. Meist bis zu dem Zeitpunkt, wo einer schreit, weint und/oder blutet. Jeden Abend.

Ich habe das ständige Diskutieren leid. Ich lade sie ein zu essen. Lehnen sie ab und sind wir Erwachsenen mit dem Essen fertig, ist das Essen beendet. Für alle. Es gibt anschließend auch nichts mehr zu Knabbern. Meistens fällt den beiden Chaoten dann ein, dass sie hungrig sind, wenn der Tisch vollständig abgeräumt wurde. Und dann beginnt das richtige Theater. Meine Tochter schreit dann ziemlich ausdauernd und extrem laut in Endlosschleife: "HUNGER! HUUUNGER! HUUUUUUUNGEEEERRRR!!!" Bin ich froh, dass wir auf dem Land wohnen. Von den Eichhörnchen und Füchsen habe ich bis dato noch keine Anzeige wegen Lärmbelästigung bekommen. Letzte Woche kommt sie dann plötzlich mit einer neuen Geschichte um die Ecke: Sie setzt sich bockig im Badezimmer auf den Hocker und ruft: "Wo ist meine Mama? Meine Mami, ich will meine MAAAAMIII!", während ich 2 Meter weiter gut sichtbar auf der Toilette sitze.

Ich schaue mir das Theater wortlos an. Beunruhigt von ihren Rufen stolpert ihr Bruder (2 Jahre) herbei: "Aber was ist denn! Mama ist doch hier?", und deutet auf mich. Meine Tochter hingegen lässt sich davon nicht beirren: "Nein! Das ist nicht unsere Mama. Das ist irgendeine fremde Frau, die aussieht wie Mama. Aber die kümmert sich gar nicht um uns. Unsere Mama wurde von Aliens entführt und ausgetauscht! HUUUUNNNNGEEEERRR!". Verdutzt ziehe ich die Augenbrauen hoch und betrachte ratlos meine immer noch schreiende Tochter und meinen leicht irritierten Sohn.

"Was habe ich nur falsch gemacht? Ich bin echt eine Versager-Mama.", schießt es mir unwillkürlich durch den Kopf. Unser Kinderarzt hatte aber einmal zu mir gesagt: "Ihre Tochter weiß genau was sie will und was sie nicht will. Und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann tun sie besser daran mit einer Wand zu diskutieren, da kommen sie eher voran. Nicht immer lohnt es sich, sich als Eltern durchzusetzen. Denn meistens ist man dann eh nur der zweite Verlierer."

 

Ich habe HUUUUUUUNGEEEERRRR!
Ich habe HUUUUUUUNGEEEERRRR!

Ich gehe in die Küche und hole eine Scheibe trockenen Toast. Ich reiche ihn meiner Tochter. Diese hört sofort auf zu schreien, strahlt mich an und beißt einen Bissen heraus. "Danke Mama! Jetzt geht es mir gut. Gute Nacht! Ich liebe dich!". Den Rest des Toast lässt sie auf dem Waschbecken liegen und verschwindet. Ich zucke mit den Achseln und wünsche auch meinem Sohn eine gute Nacht: "Ich liebe dich, Schatz!"

"Ich liebe aber OMMAA!", schleudert er zurück und verschwindet ebenfalls im Bett.

 

In solchen Augenblicken glaube ich, dass ich eine Loser-Mama bin.

Aber bin ich das wirklich? Eine weise Frau (die zufällig meine Mutter ist) sagt an diesem Abend zu mir:

 

"Kinder sind keine kleinen Erwachsene sondern halt Kinder. Und die sind unvollkommen und unberechenbar. Es werden mit der Zeit erst Persönlichkeiten. Einige sind einfach und langweilig, andere sind kompliziert und fordern dir alles ab. Nimm die Herausforderung einfach an!"

Challenge accepted! Cheers.


PS: Ich musste lernen, dass es gar keine Vorzeige-Mamis und -Papis gibt. Und es gibt auch keine Loser-Eltern! Liebt eure wilden Kinder! Sie sind etwas ganz Besonderes <3

 

PPS: Ich weiß jetzt auch, warum die Menschheit Schnaps erfunden hat:

Sie hat Kinder bekommen...

 

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