Hochbegabung - Fluch oder Segen? Teil I

Das Wort Hochbegabung ist ein potenziell problematischer Ausdruck.

Daher habe ich überlegt, ob es wirklich klug ist, diesen Begriff zu verwenden. Wie du sicher mitbekommen hast, habe ich mich dafür entschieden.

 

Doch warum ist das Wort denn eigentlich problematisch?

Vielleicht weil es die Botschaft vermitteln kann: Hochbegabte sind etwas Besonderes, etwas Besseres, als ihr Normalos!

Oder vielleicht suggeriert es: Hochbegabte sind beliebt, großartige Genies und gefeierte Persönlichkeiten.

Oftmals bekomme ich als Mutter hochbegabter Kinder zu hören, dass ich mich wichtig machen möchte und meine armen Kinder zu etwas drillen möchte, was sie nicht sind.

Dazu aber später noch einmal mehr.

 

Ich benutze den Begriff Hochbegabung einfach als das, was er ist: eine Bezeichnung. Hochbegabung ist eine weit über dem Durchschnitt liegende intellektuelle Begabung eines Menschen. Hochleistung, sprich gute Noten in der Schule, und Hochbegabung sind allerdings zwei verschiedene Dinge und bedingen sich gegenseitig nicht.

 

 

Hochbegabung in der Geschichte, Film und Literatur

 

Kennst du Dr. Sheldon Lee Cooper? Er ist theoretischer Physiker und einer der Lieblingsnerds der amerikanischen Erfolgsserie "The Big Bang Theory" und besitzt einen riesen Fanclub. Ach ja, und er ist hochbegabt.

 

Es thematisieren einige Werke aus dem Bereich Film und Literatur hochbegabte Hauptfiguren. Darunter finden sich die kleine "Matilda", "Young Sheldon" und der erwachsene Sheldon aus "The Big Bang Theory". Auch die Filme "Good Will Hunting", "A Beautiful Mind", "Begabt-Gleichung des Lebens" und "Rain Man" thematisieren dieses Gebiet.

 

Auch im Wahren Leben gibt es eine Menge berühmter Personen, von denen bekannt ist oder angenommen wird, dass sie sehr wahrscheinlich überdurchschnittlich begabt sind oder waren:

 

Johann Wolfgang von Goethe, Gottfried Wilhelm von Leibniz, Laplace, Isaac Newton, Voltaire, Bill Gates, Albert Einstein, Galileo Galilei, Alexander von Humboldt, Leonardo Da Vinci, Marie Curie, Descartes, Charles Dickens, Stephen Hawking.

 

Wem das zu viele angestaubte Persönlichkeiten der Geschichte sind, findet aber auch unter den Hollywood-Größen einige Personen mit hohen IQ-Werten:

Natalie Portman, Emma Watson, James Franco, Shakira, Quentin Tarantino, Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone, Sharon Stone, Mayim Bialik,  Rowan Atkinson, Ashton Kutcher, Meryl Streep, und Jodie Foster sind dabei zu nennen.

 

Viele von ihnen bewundern wir (oft zurecht) für ihre Arbeit und Werke oder ihr Engagement über das Filmbusiness hinaus. Manche dieser besonderen Persönlichkeiten verzaubern die Menschheit und werden als Genies gefeiert. Sie inspirieren, faszinieren, forschen, brillieren, entwickeln, kreieren und polarisieren.

Viele historische Genies werden heute für ihr Schaffen und ihre Erkenntnisse gefeiert. Was viele nicht sehen oder wissen: zu ihren Lebzeiten wurden sie oft kleingeredet, ignoriert oder für verrückt gehalten.

 

Ich frage mich seit Kurzem warum es eine so große Diskrepanz zwischen Fantum und Alltags-Realität gibt. Hier schlägt die unlogische Doppelmoral unserer Gesellschaft zu, so wie es in vielen Bereichen auch der Fall ist.

 

Warum bringen wir Sympathie für einen "Young Sheldon" auf und begleiten den Helden Staffel für Staffel, haben aber andererseits Probleme Verständnis für das hochbegabte, schrullige Kind der Nachbarn aufzubringen?

 

Ist es dieses Andersartige im Denken oder Handeln dieser Menschen, das uns, der Gesellschaft, Angst macht?

 

Oder ist es vielleicht sogar ein Gefühl der Degradation? Können wir es nicht ertragen "normal" zu sein, während es da jemanden gibt, der "besonders" ist? Fühlen wir uns dadurch bedroht oder angegriffen?

 

Als Mutter zweier hochbegabter Kinder möchte ich den Eltern von "normalen Kindern" etwas sagen:

 

Ich bin nicht stolz auf meine Kinder, weil sie hochbegabt sind. Denn sie können überhaupt nichts dafür! Ich habe mir das nicht ausgesucht und sie auch nicht.

Ich liebe meine beiden Frösche und möchte sie gegen nichts in dieser Welt eintauschen! Aber ich muss auch sagen, dass der Alltag mit diesen beiden kleinen Menschen extrem anstrengend ist und mitunter auch einsam macht.

 

Zusätzlich möchte ich Eltern hochbegabter Kinder etwas sagen: Ja, die Gesellschaft versteht uns häufig nicht und ja, es ist nicht fair, dass Inklusion nicht für unsere Kinder gelebt wird. Wir stehen vor besonderen Herausforderungen und werden oft auf eine harte Probe gestellt. Oft müssen wir hart und stark sein, um unsere Kinder zu unterstützen und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Aber bitte verliert dadurch nicht euren Blick für Toleranz! Es ist unseren Kindern nicht dadurch geholfen, wenn wir uns als Gruppe absondern. Wir müssen versuchen auf einander zuzugehen, damit Inklusion und Bildungsgerechtigkeit für alle wirklich gelingt!

 

 

Denn die Wahrheit ist: Menschen sind verschieden und das ist normal!


Altklug, frech, perfektionistisch, verträumt, unnachgiebig, stur

 

Gerade im Kindergarten- und Grundschulalter wird der Alltag von hochbegabten Kindern und ihren Eltern oft zum Spießroutenlauf. Sind diese Kinder angepasst, fallen sie in der Tat kaum auf. Haben hochbegabte Kinder allerdings Probleme sich an die Konventionen eines Systems anzupassen und werden sie dort von den maßgeblichen Personen wie Pädagogen, Erziehern, Betreuern, Lehrern und anderen Kindern nicht verstanden, fallen sie durch ihre Andersartigkeit auf. Meine Kinder zum Beispiel dadurch, dass sie sich für "Merkwürdige" Dinge interessieren, nur bereit sind einer Anweisung Folge zu leisten, wenn sie von der Sinnhaftigkeit überzeugt sind, sie Autoritäten nur akzeptieren, wenn sie es sich auch "verdienen", altklug oder besserwisserisch erscheinen, perfektionistisch sind, bei Misserfolgen schnell aufgeben und blockieren und immer genau das sagen, was sie auch gerade denken und meinen; und zwar ungefiltert. Das Traurige ist, dass dies ja insgesamt nicht ausschließlich negative Eigenschaften sind. Viele Erwachsene würden sich wünschen, dass einige dieser Attribute auf sie zutreffen würden und geben viel Geld beispielweise für Persönlichkeitscoaching aus, um da hin zu kommen, wo diese Kinder von Geburt an schon sind. Leider kommt es aber bei Erwachsenen überhaupt nicht gut an, wenn Kinder das sagen, was sie denken oder sich gar verweigern. Sie gelten dann als frech, unerzogen, dreist, unempathisch und sozial rückständig.

 

Achtung, bissig!

 

Als wir auf einer Gartenparty eingeladen waren (meine Tochter war zu diesem Zeitpunkt 4 Jahre alt), eckte meine Tochter mit den hauptsächlich erwachsenen Anwesenden an: Dort angekommen fiel es ihr anfangs sehr schwer sich zu orientieren und wohlzufühlen. Sie redete kein Wort, obwohl sie sonst mehr als wortgewand ist, und stolzierte mit merkwürdigen Bewegungen und zischenden, knurrenden Lauten von sich gebend durch den Garten und umkreiste die Gesellschaft. Die Erwachsenen, unter ihnen eine Grundschullehrerin, fragten mich, was mit ihr denn nicht stimme. Mir war das Verhalten nicht neu und ich machte mir zunächst nichts daraus, allerdings war es das erste Mal, dass mir andere Menschen deutlich zu verstehen gaben, dass sie meine Tochter merkwürdig finden. Diese machte sich nichts daraus (zumindest schien das so) und baute ihren mitgebrachten Drachenfiguren ein Nest und beschützte sie, anstatt mit den anderen Kindern zu spielen. Näherte sich jemand ihrem Nest, sprang sie auf, fletschte die Zähne und brüllte ihn an. Augenbrauen wurden hochgezogen, ich spürte die unangenehmen Blicke der anderen auf mir und hörte förmlich die Gedanken der anderen Eltern: "Was für ein stranges Kind."

Als meine Tochter dann endlich etwas aufgetaut war und sie das Nest zum Spielen mit den anderen Kindern verlassen hatte, beugte sich die Lehrerin zu mir und sprach es dann sogar noch aus: "Ihre Tochter ist ja schon etwas sonderbar, finden sie nicht?"

"Naja, sie ist so wie sie ist.", stammelte ich, nicht genau wissend, was ich dazu sagen soll.

Eine andere Erwachsene griff sich in diesem Moment einen der Drachen und begutachtete ihn. "Schon ein ungewöhnliches Interesse an Drachen und sich dann auch so zu benehmen...". Weiter reden konnte sie nicht, denn meine Tochter hatte mitbekommen, dass einer ihrer Schützlinge nicht mehr in seinem Nest war und kam wie eine Furie von der anderen Seite des Gartens angesaust und sprang ihr förmlich ohne Vorwarnung ins Gesicht. Es kam zu einer kurzen Rangelei, die Erwachsene sprang von ihrem Stuhl auf, zog meiner Tochter den Drachen weg und hielt ihn weit nach oben über ihren Kopf, sodass er für die 4-Jährige Drachenmama nicht mehr zu erreichen war.

"DAS IST MEINER! GIB DEN SOOOOOOFORT HER!!!!", brüllte sie mit hochrotem Kopf und wilden Augen. Die Erwachsene blaffte sie finster an: "Hör mal! Was hast du eigentlich für ein Benehmen mir den einfach aus der Hand reißen zu wollen! Was fällt dir ein! Sowas macht man nicht." Meiner Tochter liefen Tränen über ihr wütendes Gesicht und sie schrie weiter: "Gib mir meinen Drachen! Das ist MEINER! Den darfst du nicht anfassen!". Widerwillig händigte sie meiner Tochter ihren Drachen aus, aus der anderen Ecke des Gartens kam ein "Ganz schön frech ist die." und der Tag war für uns gelaufen.

Kurze Zeit später packte ich meine Kinder und die Drachen meiner Tochter und machte mich frustriert auf den Weg nach Hause. Zuhause angekommen stellte ich meine Tochter zur Rede: "Warum musstest du so extrem reagieren? Sie wollte sich doch nur deinen Drachen ansehen. Wenn du dich so benimmst, finden dich alle merkwürdig und wollen nachher nichts mehr mit dir zu tun haben."

Meine Tochter funkelte mich böse an: "Das ist mir EGAL! Die hat meinen Drachen einfach genommen, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen. Das macht man nicht. Ich habe gemerkt, dass sie mich nicht mochte. Alle mochten mich nicht. Und ich mag die nicht. Dann muss ich auch nicht nett zu denen sein, weil ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben will. Ich will die nie wieder sehen!" Daraufhin öffnete sie die Haustür und stapfte davon in ihr Zimmer und ließ mich zurück. Ihre Worte trafen mich hart, denn sie hatte verdammt noch einmal Recht. Ich setze mich ja auch nicht einfach in das Auto von jemand anderes, weil ich es mir ansehen möchte, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen.

Und sie hatte auch Recht damit, dass die anderen sie merkwürdig fanden und ihr mit Antipathie begegneten.

 

Wenn ich an diesen Moment an der Haustür denke, kommen mir jedes Mal wieder die Tränen. Warum? Weil das Schlimmste an dieser Episode ist, dass ich in dem Moment als Mutter absolut versagt habe! Ich habe nicht eingegriffen und habe nicht das getan, was ich hätte tun müssen: meine Tochter zu beschützen.

Ich habe meine 4-Jährige sich selbst überlassen. Auch heute tut mir das unfassbar leid!

Jetzt, 4 Jahre später sagt meine Tochter zu mir: " Weißt du Mama, hochbegabt zu sein ist gar kein Geschenk. Es ist ein Fluch. Niemand versteht mich und alle denken ich wäre gemein und eine blöde Kuh. Aber das bin ich gar nicht, oder? Warum denken sie das?"

Es bricht mir das Herz.

 

Ich habe meinen Kindern versprochen immer für sie da zu sein. Ich habe damals einen riesen Fehler gemacht, aus dem ich bitter gelernt habe.

Ich bitte euch: steht zu euren Kindern. Es ist nicht wichtig, was andere denken oder zu euch sagen.

 

 

Eure Kinder sind großartig!

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