Ehrliche Gedanken zum Mutter-Sein

Kennt ihr den Film Barbie (Greta Gerwig, 2023)? Also ich konnte mich relativ lange davor drücken ihn anzusehen. Schon als Kind mochte ich Barbies und Puppen nicht wirklich. Daher hatte ich überhaupt kein Interesse mir den von der Kritik doch so sehr gelobten Film dann anzusehen. Als ich dann aber Ende August 2024 in einem Flugzeug auf einem Langstreckenflug saß, dachte ich mir „Was soll’s. Ich kann jetzt eh nicht hier weg." und schaute mir den Film dann doch an. Und ich muss sagen, dass ich nun verstehen kann, warum die Kritiker ihn als „besonders wertvoll“ bezeichnen. Und das liegt nicht am überzeichneten Rosa-Glizer-Look oder an Ryan Gosling. Eine Stelle fand ich tatsächlich sehr bewegend. In dieser setzt Gloria, gespielt von America Ferrera zu einer bewegenden Rede über Frauen an:
„Es ist im wahrsten Sinne unmöglich eine Frau zu sein. […] wir müssen immer besonders sein. Aber irgendwie machen wir immer alles falsch. Du musst dünn sein, aber nicht zu dünn und du darfst nie sagen, dass du dünn sein willst. Du musst sagen du willst gesund sein aber gleichzeitig sollst du bitte dünn sein. Du sollst Geld haben, aber du darfst nicht danach fragen, denn das geht überhaupt nicht. Du musst ein Boss sein, aber sei dabei nicht gemein. Du musst andere führen, aber keinesfalls ihre Ideen unterdrücken. Du sollst in der Mutterrolle aufgehen, aber rede verdammt nochmal nicht dauernd über deine Kinder! Du musst Karriere machen, aber denk daran dich trotzdem immer um alle anderen zu kümmern. Du musst gut reagieren, wenn Männer mies benehmen, was total krank ist. Aber beschwerst du dich, wirft man dir vor, dass du meckerst. Du sollst hübsch bleiben für die Männer, aber nicht so hübsch, dass du sie zu sehr verführst oder für andere Frauen zur Bedrohung wirst, denn du sollst Frauen gegenüber solidarisch sein und dich immer von anderen abheben. Und sei immer schön dankbar! Aber vergiss nie, dass das System manipuliert ist, also finde einen Weg damit umzugehen, aber trotzdem: Sei immer schön dankbar! Du darfst niemals alt werden. Niemals unhöflich sein. Niemals angeben. Niemals egoistisch sein, niemals hinfallen, niemals versagen, niemals Angst zeigen, niemals aus der Reihe tanzen. Das ist zu schwer! Das ist zu widersprüchlich und niemand verleiht dir eine Medaille oder sagt Danke. Und es hat sich herausgestellt, dass du nicht nur immer alles falsch machst, sondern an allem auch noch selbst schuld bist. Ich habe es einfach so satt.“
Was machen diese Worte mit dir?
Mich haben sie zum Weinen gebracht. Mitten im vollbesetzten Flieger. Denn sie sprechen mir aus meiner Seele. Seitdem ich Mutter bin, habe ich das Gefühl nichts richtig machen zu können. Ich fühle mich verunsichert und verantwortlich für alles und jeden. Noch nie stand ich so sehr im Fokus von allen möglichen Menschen. Schon während meiner ersten Schwangerschaft hatte ich das Gefühl alles falsch zu machen. „Was?! Du trägst in dir ein neues Leben! Das muss dich mit Stolz erfüllen!“, „Ist das nicht wunderbar, wenn die süßen kleinen Füße liebevoll dein Zwerchfell massieren?“, „Dein Bauch sieht sooo toll aus, lass mich mal anfassen!“, „Genieße die Zeit! Wenn das Baby da ist, dann ist es mit dem Schlafen vorbei.“ Schlafen konnte ich jetzt schon nicht mehr, weil meine Tochter mit ihren süßen kleinen Füßen so feste zugetreten hat, dass ein Rückenwirbel einen Zwischenrippennerv abgequetscht hat. In der Folge zog dauerhaft ein scharfer Schmerz über meine Bauchdecke, was jeder Bauchtatscher nur verschlimmerte. Als I-Tüpfelchen gab es Morgenübelkeit 9 Monate non-stop inklusive. Ich fühlte mich miserabel. Und dennoch fühlte ich mich schuldig und fragte mich, was ich falsch machte. Denn mein Umfeld signalisierte mir: Hey, schwanger sein ist toll! Dass du dich nicht gut fühlst ist nicht normal. Du musst da echt etwas falsch machen.

Auch nach der Geburt ebbte dieses Gefühl nicht ab. Meine Tochter war ein Schreikind. Stundenlang schrie sie unablässig und ich war am Ende meiner Kräfte. Das Stillen klappte nicht, Brei wurde verachtet. Neidisch beobachtete ich überall Eltern und Kinder, die vor Freude strahlten, Babies glucksten. Alles war so perfekt. Wenn ich andere Kinder in Krabbel- und Spielgruppen beobachtete, ließen mich die Zweifel an meinen Fähigkeiten als Mutter nicht los. Warum reagiert mein Kind so anders? Warum bin ich so viel unentspannter? Warum ist alles so viel weniger selbstverständlich?
Anfangs versuchte ich mich selbst zu beruhigen und sagte mir immer, dass sich alle Kinder individuell entwickeln. „Das ist alles normal.“ Doch meine Unsicherheit wuchs mehr und mehr. Zuletzt machten sich Sorgen breit. Ich fragte mich, ob wirklich alles in Ordnung mit meinem Kind war. Ich haderte mit mir, fragte Ärzte und Erzieher, ob sie der Meinung waren, dass es Unterstützung brauchte. Immer wieder fragte ich mich, ob ICH es war, die Hilfe brauchte. Je mehr ich mit anderen Personen über meine Sorgen redete, desto mehr bekam ich Reaktionen wie: „Alle Kinder haben das mal!“, „Wirklich? Das habe ich bei deinem Kind noch nicht beobachtet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so ist. Das ist doch alles nur eine Phase. Du solltest einfach entspannter sein. Entspannte Eltern, entspannte Kinder. So einfach ist das.“, „Du musst einfach,…“
Da scheinbar niemand meine Wahrnehmung über mein Kind teilte, war ich mir schließlich sicher, dass es an mir lag. Ich war das Problem. Da mein Kind ja scheinbar so wie alle anderen ist, es alles nur eine Phase ist, die alle Kinder haben und alle anderen Eltern mit den gleichen Schwierigkeiten und herausfordernden Alltag konfrontiert sind, dann muss ich eine schlechtere Mutter sein. Denn nur so erklärte sich, warum ich so viel angespannter, müder und sorgenvoller war, als alle anderen Eltern.
Ich bin einfach nicht gut genug.
Heute - 10 Jahre später- weiß ich zwar, dass ich nicht schuld bin. Dennoch ist es immer noch ein beinahe täglicher Kampf für mich nicht zu hart zu mir selbst zu sein. Immer wieder frage ich mich, ob ich nicht doch falsch liege. Häufig stelle ich mir die Frage warum ich scheinbar die Einzige bin, die Probleme sieht, wo niemand anderes sie sieht. Dabei liegt es nicht daran, dass ich gerne Fehler suche oder meine Kinder schlechter wahrnehmen möchte, als unser Umfeld. Es geht mir auch nicht darum sie „besonders“ machen zu wollen. Ich suche nach Erklärungen für mich, um zu verstehen, warum sie in vielen Dingen abweichen und ihr Verhalten häufig nicht in den üblichen Erwartungsrahmen passt.
Etwas, was ich insbesondere in den letzten beiden Jahren gelernt habe zu akzeptieren, ist die Erkenntnis, dass unser Familienleben nicht der gängigen Vorstellung entspricht. Und das wird auch niemals so sein. Und das ist in Ordnung so. Denn meine Kinder sind neurodivergent.

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